Minutenüberfall
Die Bankfiliale lag etwas über dem Straßenniveau. Nach einer kleinen Auffahrt befand sich der bankeigene Parkplatz direkt vor dem Eingang. Das bedeutete, dass unser Fluchtfahrzeug von vorbeifahrenden Autos gesehen werden würde, aber da wir einen grauen Golf gestohlen hatten, war diese Tatsache zu vernachlässigen. Ich sah an den nicht vorhandenen Kundenfahrzeugen sofort, dass gerade keine ihrer Besitzer in der Bank waren. So würde ich beim Herauskommen den Verkehr gut überblicken können.
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Ab jetzt!
Peter parkte ein, ich hing dem schon beim letzten Mal erprobten Kopiloten Hinweiszettel ans Lenkrad, stieg aus und ging die paar Schritte zur Bank. Als ich kurz vor dem Eingang war, bog von der Seite ein Mann in Anzug und Krawatte um die Ecke.
„Entschuldigung, der Herr!“, sprach er mich an. „Brauchen Sie nur den Bankomat, oder wollen Sie in die Bank hinein?“
„In die Bank hinein“, antwortete ich automatisch. „Warum?“
„Weil mein Chef auf der Toilette ist und ich die Zeit nutze, um eine Zigarette zu rauchen. Dem passt es überhaupt nicht, wenn ich während der Dienstzeit …“
„Sie arbeiten in dieser Bank?“, unterbrach ich ihn.
„Ja. Schauen Sie doch meine Verkleidung an. Wo arbeitet man so angezogen sonst?“
„Äh …“
„Sehen Sie. Haben Sie noch einen Moment Zeit, dass ich fertig rauchen kann? Drinnen ist nämlich sonst niemand. Außer dem Chef, aber der wird Sie von der Toilette aus nicht bedienen können und wollen schon gar nicht.“
„Also, ich wollte ….“, stammelte ich.
„Ist gut. Ich sehe schon. Sie haben es eilig. Geht es schnell? Dann lege ich meine Zigarette kurz hier auf die Mauer.“
„Schnell!“, nickte ich. „Sehr schnell hoffentlich!“
„Na, das hoffe ich auch. Dann ist ja vielleicht noch der Rest von meiner Zigarette da.“
„Wenn Sie sich beeilen?!“
„Das werde ich!“, kam es überzeugend lachend aus dem Anzug. „Diese Zigarette habe ich mir wirklich verdient, und mein Chef ist mindestens eine Viertelstunde außer Gefecht. Da geht sich vielleicht sogar noch eine zweite aus.“
„Ich wünsche es Ihnen“, meinte ich ehrlich.
„Okay. Ein Zug noch.“ Er machte einen tiefen Lungenzug. „So, da leg ich sie inzwischen hin und rauche sie danach fertig.“
„Danach?“
„Na ja, wenn Sie mich fertig überfallen haben.“
„Woher wissen Sie, dass ich Sie überfallen werde?“
„War nur ein Scherz.“
„Klar. Können wir dann?“, deutete ich mit der Hand zum Eingang.
Wir konnten! Der fröhliche Bankangestellte ging voraus. Ich folgte ihm und nahm schon die Pistole aus der Jackentasche. Der gerade noch rauchende Banker ging um den Schalter herum zur Kasse, drückte eine Taste auf seinem Computer, um den Bildschirmschoner zu deaktivieren, wandte sich dann mit einem freundlichen „Was-kann-ich-für-Sie-tun?“-Lächeln zu mir und blickte in die Mündung meiner zwar ungeladenen, aber doch echten Waffe.
„Wo haben Sie denn die jetzt her?“, fragte er mich lachend. „Super! Da mache ich einen Scherz über einen Banküberfall, und Sie haben zufällig tatsächlich eine Pistole dabei! Ist die echt?“, fragte er interessiert.
„Natürlich ist die echt. Ist ja auch ein echter Ü…“
„Was ist das für eine? Smith & Wesson, Magnum?“
„Nein. Eine Glock.“
„Ah! Qualität aus Österreich! Nachhaltigkeit! Super! Sie werden mir immer sympathischer.“
Na toll!
„Können wir dann endlich …“
„Natürlich! Schließlich raucht meine Zigarette allein vor der Tür weiter. Wenn wir die zu lange allein lassen, löst der Rauch vielleicht den Feuermelder aus, und die Feuerwehr und die Polizei kommen, um mich wegen unerlaubten Rauchens zu verhaften. Sie können sich gar nicht vorstellen, was mein Chef dann mit mir macht. Danke, dass Sie mich daran erinnern. Da werden Sie mir gleich noch ein bisschen mehr sympathisch!“
„Danke“, erwiderte ich fast sprachlos.
„Also“, schenkte er mir sein freundlichstes Lächeln und sprach den magischen Satz:
„Was kann ich für Sie tun?“
Da stand ich nun schwer bewaffnet in einer Bankfiliale vor meinem neuen Freund, und mir fehlten die Worte. Der Typ war nicht nur sympathisch, sondern auch blind.
„Wollen Sie mir nicht sagen, was Sie wollen? Warten Sie, ich errate es eh gleich. Darin bin ich gut. Meistens weiß ich schon, wenn der Kunde durch die Tür kommt, was er möchte. Bei Ihnen habe ich ja noch den zusätzlichen Vorteil, dass wir uns schon vor der Tür kennengelernt haben und uns gleich so sympathisch waren. Lassen Sie mich also raten.“
Da ich fürchten musste, seinen enthusiastischen Redeschwall nicht unterbrechen zu können, gab ich ihm einen kleinen Hinweis, indem ich bedrohlich mit der Pistole wackelte.
„Ja. Natürlich. Hab verstanden.“
Gott sei Dank!
„Ich beeile mich. Nur ein Tipp. Mmmmmh … Ich hab’s!“
„Fein dann mal her damit!“, freute ich mich.