Gemälde
Herr Usun reagierte merkwürdig auf diese News. Als ich ihm vom Auffinden der Tresorteile berichtete, war noch alles in Ordnung. Aber als ich ihm vom Gemälde mit einer Nackten auf den Teilen erzählte, wurde er kreidebleich.
„Das hatte ich völlig vergessen“, jammerte er kopfschüttelnd.
„Was haben Sie vergessen, lieber Herr Usun?“ Keine Reaktion auf „lieber“. Ich begann mir ernstlich Sorgen um den Kollegen zu machen.
„Das kann ich Ihnen nicht sagen. Herr Pichler, ich bin erledigt.“
„Wieso sind Sie erledigt? Sie werden doch wohl nicht derjenige gewesen sein, der den Tresor gesprengt hat?“
„Nein, natürlich nicht.“
„Warum regen Sie sich dann so auf? Ist doch gut so. Endlich werden Spuren gefunden, die die Polizei zum Täter führen können.“
„Gar nichts ist gut. Das Gemälde ist von mir.“
„Dann ist es doch gut, dass es gefunden wurde. Sie bekommen Ihr Gemälde zurück. Ist es so wertvoll? Hoffentlich ist es nicht kaputt gegangen. Norbert sagte, dass sie nur Teile eines Gemäldes gefunden haben“, tat mir Usun richtig leid.
„Natürlich ist es kaputt. Aber darum geht es gar nicht.“
„Herr Usun, ich verstehe gar nichts mehr.“
„Können Sie auch nicht. Sie waren ja damals nicht dabei.“
„Als Sie den Tresor gesprengt haben?“
„Nein! Jetzt hören Sie mir endlich zu. Das Gemälde ist nicht mein Gemälde.“
„Na Gott sei Dank. Dann ist es ja nicht so schlimm, dass es kaputt gegangen ist.“ Für mich war die Welt damit wieder in Ordnung.
„Das Gemälde ist von mir.“
„Sie haben der Bank ein Gemälde geschenkt? Hab mich schon immer gefragt, wie Sie den Job bekommen haben. Vorstand mit Kunst bestochen?“
„Blödsinn! Hören Sie mir zu! Das Gemälde ist von mir. Ich habe es gemalt.“
„Sie haben ein Gemälde auf den Tresor gemalt?“
„Nicht auf den Tresor. Auf die Wand dahinter. Der Tresor verdeckt es nur. Bis heute jedenfalls. Als die Bank damals hier einzog, hat es eine Verzögerung bei der Lieferung des Tresors gegeben. Die Chefs wollten sparen und haben deshalb eine Sammelbestellung mit den Nachbarbanken gemacht. Dadurch haben sie einen Mengenrabatt bekommen.“
„Was hat das mit Ihrem Kunstwerk zu tun?“
„Na ja. Die Wand war frei, ich wusste, dass der Tresor davor gestellt werden würde. Also habe ich mich für ein gewagteres Werk entschieden.“
„Eine Nackte?“, fragte ich erwartungsvoll.
„Nein. Ein ganzer Haufen.“
„Ganzer Haufen was?“
„Nackter Weiber!“, schrie er mich an. „Ein ganzer Haufen nackter Weiber!“
„Super. Ich kaufe es ihnen ab“, grinste ich ihn an.
„Pichler!“
„Okay. Ich verstehe schon. Sie haben Angst, dass Ihnen Allah die Himmelstür vor der Nase zuschlägt, weil Sie Moslem sind und nackte Frauen gemalt haben?“
„Quatsch! Wir bekommen doch die Jungfrauen, wenn wir gestorben sind.“
„Und, sind die auch nackt?“
„Auf meinem Kunstwerk schon. Außerdem scheint es Allah gefallen zu haben, sonst wäre es mir in den Jahren danach nicht so gut gegangen.“
„Wo ist dann das Problem?“
„Meine Frau ist das Problem. Wenn die herausbekommt, dass ich nackte Frauen gemalt habe, denkt die, dass ich mit jeder von ihnen ein Verhältnis hatte.“
„Hatten Sie?“, fragte ich neidisch.
„Natürlich nicht. Ich liebe meine Frau.“, ganz entrüstet war er. „Alle aus dem Kopf gemalt.“
„Und wie sind sie da hineingekommen?“
„Wo hinein?“
„In Ihren Kopf.“
„Genau das ist es, was mich meine Frau fragen wird.“
„Na dann wünsche ich Ihnen viel Spaß beim Erklären.“ Mann war ich schadenfroh! Pfui!
„Da wird gar nichts erklärt. Die schmeißt mich ohne jede Erklärung raus.“
„Zu mir können Sie jedenfalls nicht. Bei mir regnet es ins Wohnzimmer, der Nachbarshund hat die Tollwut, ich habe kein zweites Bett, in meinem Schlafzimmer wohnen Flöhe, Läuse, Kakerlaken und an der Wand hängen Fotos von unseren Chefs Direktor Paulitsch und Direktor Müller.“ Das sollte als Abschreckung genügen.
„Wer will denn zu Ihnen?“, sah er mich an, als wenn ich nicht ganz dicht wäre. „Ich muss nur unbedingt verhindern, dass sich das herumspricht.“
„Keine Chance!“, stellte ich mit einem resignierenden Kopfschütteln fest.
„Pichler! Mann! Sie sind mein Kollege! Das dürfen Sie mir nicht antun. Ich warne Sie: Ich ziehe trotzdem bei Ihnen ein. Auch wenn Ihre fünf sabbernden Schwiegermütter mit im Bett liegen.“
„Ich habe keine Schwiegermutter. Ich bin doch nicht verheiratet.“
„So wie es bei Ihnen ausschaut, wundert das niemanden.“
„Woher wissen Sie, wie es bei mir ausschaut?“
„Sie haben es mir doch gerade beschrieben.“